die seltsamen Geschichten, mit denen der Tag gestern geendet hat, gehen heute mit voller Kraft weiter. Zwischen einem Kaffee und einem Smoothie werden die wildesten Verschwörungstheorien ausgepackt. Der Holocaust soll angeblich gar nicht so passiert sein, stehe in irgendeinem Buch. Die Begründung sind so kleine Details wie Türen, die sich angeblich falsch herum öffnen. So ein riesiger Unsinn. Ich versuche ständig dagegen zu halten – an der technischen Durchführung hätte ich ja die geringsten Zweifel – und auch das Thema zu wechseln, es funktioniert aber schlecht. Auch der Angriff auf das WTC soll nur ein Schauspiel gewesen sein, in der offiziellen Geschichte seinen zu viele Fehler. Hinter all dem stecke eine geheime „Weltregierung“. Was die will, habe ich aber nicht verstanden. Für mich hört sich das nach wilden Träumen von „armen und einfachen Menschen“ an, die denken, dass jemand im Hintergrund sehr viel Macht hat und damit viel Geld scheffelt. Ich denke mir, falls es so eine geheime Weltregierung wirklich gibt und sie es geschafft hat, seit Jahrhunderten geheim zu bleiben, wird sie schlau genug sein, um weiterhin geheim zu bleiben, und sicherlich nicht durch solche kleinen Details aufzufliegen. Abgesehen davon: wer es schafft, diese angeblichen Geldmengen vorbei an allen Staaten zu scheffeln, wird das auch weiterhin machen, ohne „so nebenbei“ den größten Terroranschlag der Geschichte durchzuführen. Beim Themenwechsel kriege ich noch raus, dass er letzten Dezember von seinem schizophrenen Sohn (eines von sieben Kindern) viermal mit einem Messer in den Hals gestochen wurde – und die ganze restliche Familiengeschichte.
Komische Leute gibt es, um kurz nach neun halte ich es nicht mehr aus, ziehe alles an, was ich habe und mache mich trotz einstelligen Temperaturen (in der Nacht war es wohl nur 3°C) auf den Weg. Ich fahre zurück nach Thessalon, kaufe Frühstück und Proviant und gehe nochmal bei der Bücherei vorbei. Das selbe Mädel ist wieder da und ich bedanke mich trotzdem nochmal und biete ihr einen meiner Muffins an. Sie hat befürchtet, dass es so endet, weil er ihr schon einige dieser Impf-Verschwörungstheorien erzählt hat. Woher diese Leute nur das Selbstbewusstsein nehmen, irgendeinen Unsinn von noch wirreren Köpfen zu glauben, was entgegen der komplette wissenschaftlichen Sicht spricht?
Wie gestern auch schon, habe ich heute mal wieder gar kein Ziel, außer „nach Osten“. Ein ganz schöner Schlendrian, der da Einzug hält – oder einfach nur grenzenlose Freiheit!
Heute ist jedoch Samstag und ich komme an einigen Ortschaften vorbei. Und überall ist etwas los, entweder ein Farmers‘ Market, die ich alle besuche und süße Kleinigkeiten kaufe und auch gleich aufesse. Nach der Einsamkeit der letzten Wochen ist es etwas ganz neues, wieder „unter Menschen“ zu sein und mal etwa anderes als Straße, Bäume und Seen zu sehen. Auch wenn es komische Menschen sind. Die Farmer hier scheinen oft zu diesen „Amish“ zu gehören und es ist sicherlich ein seltsamer Anblick, wenn ich mit High-Tech Radkleidung, Helm und Sonnenbrille diesen Menschen gegenüberstehe, die in (vermutlich) selbstgewebten „sackartigen“ Gewändern ihre Sachen verkaufen. Dazu noch in einem sonderbaren Dialekt, den ich nirgendwo einordnen kann. Ihre Kutschen haben sie ordentlich vor dem Gebäude geparkt, die zugehörigen Pferde grasen im Schatten nahegelegener Bäume.
Innen bin ich dann wieder in den 50er Jahren. Die Toiletten sind mit „Farmers“ und „Wives“ beschriftet – was soll eine Frau auch anderes machen, als eine Ehefrau zu sein?
Natürlich auch noch ein flacher Witz, der aber im deutschen schlecht funktioniert. („Men to the left, because women are always right.“)
Inzwischen machen diese Kutschen-Schilder auch Sinn und die gestrige Freunde, dass da noch andere Radfahrer unterwegs sein könnten, weil ich nur eine Seite der Kutschen-Spuren gesehen habe, verflüchtigt sich heute. Das hier ist übrigens ein Bild vom Highway #17, auf dem ich heute fahre, auch dort fahren die Amish mit ihren Kutschen, neben LKWs, die sie mit 90km/h überholen. Nach der gestrigen Erfahrung will ich heute nicht mehr auf dem Waterfront-Trail fahren.
Neben Farmers‘ Markets ist auch eine „Car and Bike“-Show, bei der einige spezielle (d.h. üblicherweise alte und/oder getunte) Autos zu sehen sind. Manche habe die Motorhaube offen, ich sehe aber kein einziges Bosch-Logo. Das einzige Auto, das mich ansatzweise anspricht, ist dieser Leichenwagen, mit Skelett auf dem Beifahrersitz, einer skelettierten Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger als „Kühlerfigur“ und FINLRIDE Nummernschild. Als ich frage, wo denn die Bikes, i.e. Bicycles sind, kriege ich gesagt, dass es natürlich keine Fahrräder hier gibt und die angemeldeten Motorräder auch nicht gekommen sind. Na gut, dann gehe ich halt wieder – ich will ja auch irgendwann heute mal irgendwo ankommen….
Heute ist auch in ganz Kanada der große Feiertag für den „Trans Canada Trail“. Und tatsächlich macht eine kleine Gemeinde auf meinem heutigen Weg dabei mit. Der Stand wird von einer älteren Freiwilligen betreut, die recht enttäuscht von der zentralen Organisation ist. Sie hat keine Karten oder sonstige Informationen darüber. Man hat ihr lediglich ein paar Gummi-Armbänder und Visitenkarten geschickt, in denen Blumensamen sind. Man kann diese Karten also einpflanzen und bekommt dann Blumen. Hat überhaupt nix mit diesem Trail zu tun, vielleicht ist deshalb auch nix los, obwohl sogar noch eine Band organisiert wurde. Es gibt aber wenigstens noch ein kostenloses Eis.
Dann komme ich in die Nähe von Massey und ich scheine mal Glück zu haben. Hier ist genau dieses Wochenende etwas los: das Herbst-Volksfest! Ich überlege kurz, wie man im August schon Herbst haben kann, aber bei den nächtlichen Temperaturen hier scheint es recht logisch.
Dieses Volksfest ist offiziell Alkohol-frei – was wohl der größte Unterschied zu unseren Volksfesten ist. Dazu gibt es neben dem typischen Autoscooter, Geisterbahn, Schießständen, etc. noch einige Tierschauen von den Bauern der Umgebung mit Kühen, Schafen, Ziegen, Alpakas, Gänsen, Hasen, usw.
Zusätzlich noch weitere Programmpunkte mit Pferden, Destruction Derby, Kuchen-Wettessen, usw.
Der Provincial Park direkt nebenan will 42$(!) für eine Nacht haben. (wie schon mal gesagt: für nix, man kriegt keinen Butler, der das Zelt aufbaut o.ä. – nur dafür, dass man dort zelten „darf“). Das ist mir natürlich viel zu viel, außerdem ist es ausgebucht. Ich frage, ob andere Radler hier sind, mit denen ich vielleicht einen Platz teilen könne. Das Mädel am Eingang meint, dass sie sich nicht erinnern könne, ich aber gerne selbst schauen dürfe. Ich finde auch niemanden, schalte aber zum Glück schnell genug, als ich an den Duschen vorbei fahre. Ich nutze die Gelegenheit um mal eben zu duschen. So frisch geduscht kann das Wild-Zelten kommen.
Ich frage jedoch mal beim Volksfest, ob ich dort zufällig irgendwo zelten könne? Der Eintritt kostet 12$, mit dem Zelt kommen die Personen am Eingang nicht klar, da müssen sie mal den Chef fragen. Der kommt nach 10min auch mal auf seinem Quad vorbei und meint, dass es für 10$ möglich sei. Der ganze Platz ist voller Wohnmobilen der diversen Aussteller, ich werde zu den „Horse People“ ganz hinten gelotst, dort sei es ruhiger.
Angekommen und kurz das Zelt aufgebaut. Dann hole ich mir eine große Portion Pommes (einen Supermarkt gibt es hier im Dorf nicht) und schaue mir kurz die Band an. Sie spielen gerade so eine Art Ententanz im Country-Stil, ebenso gut (bzw. schlecht) wie das Bild hier. Da brauche ich nicht bleiben, also zurück zu den „ruhigeren Horse people“. Ich kriege sofort wieder ein Bier am Feuer angeboten. Es ist ein wildes Kommen und Gehen, Eltern, Stiefeltern, Großeltern, Cousins, Kinder, Nichten, usw. sind da oder werden weggebracht/geholt/tauchen auf. Ich verliere völlig den Überblick, was nicht unbedingt am Bier liegt.
Ich schaffe es kaum, meine Bierdose leer zu trinken, bevor ich schon wieder eine neue angeboten bekomme. Da ich von morgen noch etwas erleben will, versuche ich jedoch, das alles etwas langsamer angehen zu lassen. Die anderen scheinbar nicht. Gegen zwei wird entschieden, dass irgendwelche Gäste hier am Feuer zum gegenüberliegenden Campingplatz begleitet werden. Natürlich mit alkoholischen Getränken in der Hand; was im „Land of the free“ und dessen nördlichen Nachbarn völlig verboten ist – in der gegenwärtigen Stimmung jedoch egal ist. Auf dem Weg zurück überrascht uns jedoch die Polizei. Unsere Gruppe von sieben Leuten versteckt sich hinter dem Kassenhäuschen des Zeltplatzes, als die Polizei dort herum fährt, ist heftiges Durcheinander angesagt, weil wir alle (natürlich?) auf der gegenüberliegenden Seite sein wollen um nicht erwischt zu werden. Einen haben wir verloren, der hat in einem Reh-artigen Sprung (wie er danach selbst gesagt hat), die Flucht angetreten, erfolgreich. Das Spielchen „ums Kassenhäuschen kriechen“ machen wir aber nicht lange mit und hauen in einem geschickten Moment zu einem benachbarten Gartenhäusen ab. Die Polizei macht nun auch Anstalten, den Ort zu verlassen. Jedoch meint Archi, dass wir lieber hier noch etwas warten sollten, denn die Polizei wartet sicherlich nur auf uns. Er soll Recht behalten, keine zwei Minuten später kommen sie nochmal vorbei und fahren jetzt aber weg. Wir gehen zurück zu unserem Feuer und quatschen noch kurz über dieses Erlebnis. Dann ist aber auch mal gut und alle legen sich – eigentlich viel zu spät und etwas zu betrunken – hin. Mal sehen, wie das morgen wird….
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