irgendwie ist bei meinen meisten Gesprächen in den letzten Wochen dieser Teil dabei gewesen:
„Ich gehe zum NXNE Festival.“ – „Hä??“ – „Zum North by Northeast-Festival nach Toronto. Das ist ein Musik-, Kunst-, Comedy- und Filmfestival in Toronto.“ – „Aha….“
Der Musik-affine Stuttgarter kennt evtl. noch das ESxSW (Esslingen by Southwest) Festival. Vermutlich haben aber ein paar mehr Leute schon vom SXSW, dem South by Southwest Festival in Austin, TX, gehört. Aber „I don’t go to USA“ und außerdem sind die Kanadier sowieso die cooleren Amerikaner.
Was kann man sich darunter nun vorstellen? Dies sind die Fakten: über 800 Bands spielen an fünf Tagen in bis zu 40 Clubs und Parks. Die ersten Bands spielen z.T. schon morgens um 11:00, die letzten hören nachts um 4:00 auf. Die ganzen Kunst-Aktionen, Filme und Comedy-Veranstaltungen habe ich alle mal ausgeblendet; mit der Musik habe ich schon genug zu tun!
Beim Abholen meines Festival-Armbandes (Preis: ich zahlte 75$ für zwei Stück, regulär kostet eines 149$) bekomme ich noch ein 180-seitiges Buch in die Hand gedrückt, in dem jede Band mit einem kurzen Satz mehr oder weniger treffend vorgestellt wird. Zum Beispiel: Wish – They know, their name is hard to Google.
Dieses Buch hilft allerdings nicht viel für die „Planung“, da viele Infos darin einfach nicht mehr aktuell sind; ein kostenloses, wöchentliches Stadtmagazin – welches übrigens auch ein Hauptsponsor ist – hat aktuellere Infos. Und dazu noch diverse Listen aufgestellt. Zum Beispiel: 10 Shows for the Music Fan, who’s seen it all. Super – das ist doch etwas, an dem ich mich entlang hangeln kann.
Der Ablauf des kompletten Festivals ist streng geregelt: Jede Band hat genau eine Stunde, inkl. Aufbau, Soundcheck (den mindestens eine Punk-Band mit harschen Worten gegen den Mischer auch mal übersprungen hat), Konzert – ohne Zugabe – und Abbau. Da bleibt meist nicht viel mehr als eine gute halbe Stunde zum Spielen. Als Konzertbesucher hat man daher großes Interesse daran, sofort nach dem letzten Ton den aktuellen Club zu verlassen und bestenfalls zum ersten richtigen Ton bei der nächsten Band im nächsten Club zu sein.
Neben sehr vielen „normalen“ Konzerten gab es allerdings auch ein paar Besonderheiten:
Eine der Straßenbahnen wurde für Konzerte verwendet. Da ich schon vermutete, dass die DInger sehr voll werden, bzw. man stundenlang anstehen muss, um mitfahren zu können, habe ich gleich die erste Fahrt mitgemacht.
Hej, SSB – das wäre doch mal eine Image-Initiative. Ihr habt doch in nächster Zeit sowieso einige alte S- und U-Bahnen übrig, wenn ihr auf die Neuen umsteigt. Baut doch eine davon zu einer Veranstaltungsbahn um und fahrt zumindest bei ein paar besonderen Anlässen, wie der Kulturnacht, o.ä. damit ein paar Bands durch die Stadt!
Am nächsten Tag ging es mit einem Party-Dampfer auf die Toronto Island. Während der Stunde Fahrtzeit hat leider keine Band gespielt – obwohl auf dem Schiff genug Platz gewesen wäre.
Dort angekommen hat es mich auf den ersten Blick sehr an das U&D an der Uni Vaihingen erinnert. Allerdings ohne Hunde, dafür mit sehr viel mehr Hanf-Geruch in der Luft (was in Toronto sowieso recht üblich scheint).
Das eigentlich besondere an dieser Party war allerdings, dass alle Getränke dort frei waren: Open Bar! Da wunderte es mich schon, dass nur ein einziger Komplettausfall am Rand rumvegetierte. Beim U&D in Vaihingen sähe das sicherlich anders aus. Allerdings blieb ich nicht bis zum Schluss, schließlich warteten in der Stadt schon wieder die nächsten Konzerte. Auf dem Rückweg gab es dann sogar noch die Chance auf ein obligatorisches Touri-Foto.
Bei den Konzerten war so ziemlich alles dabei. Von „Werbe-Konzerten“ tagsüber in den diversen Parks der Stadt mit relativ wenigen, eher zufällig vorbeikommenden, Zuschauern
bis zur großen Open-Air-Bühne am sehr zentralen Yonge-Dundas-Square mit mehreren tausenden Zuschauern. Im vorher angesprochenen Stadtmagazin wurde davor gewarnt, dass es dort sehr, sehr, sehr voll wird. Das Wetter spielte mit und es war in der Tat gut gefüllt.
Die Einheimischen um mich herum erwähnten zum Teil auch, dass es hier ja wirklich unglaublich gedrängt sei – und ich wunderte mich nur. In Deutschland hätte man sicherlich doppelt so viele Leute auf den Platz gelassen. Es ist mir bei einigen Clubs auch passiert, dass man wegen „Sorry – we’re at our capacity limit“ davor in einer Schlange warten musste. Als ich dann doch reingelassen wurde, war ich irritiert; die Veranstalter hier in Stuttgart bezeichnen solch „ausgebuchte“ Clubs bei uns als gerade mal „gut halbvoll“.
Das ganze Festival wird leider von jede Menge Werbung begleitet. Die vorher genannte Straßenbahn wurde nach einem Getränke-Hersteller genannt, die traditionelle Massey Hall mit etwa 3000 Sitzplätzen wurde nach einem deutschen Kopfhörer-Hersteller umbenannt, die Insel-Party wurde von einem Schuh-Hersteller und einem In-Magazin gesponsort, eine andere Bühne wurde von einem Müsliriegel-Hersteller, eine weitere von einem Energiedrink-Hersteller beworben, bei einem der Auftritte der Lo-Fi Band „Pizza Underground“ von Kinderstar Macaulay Culkin wurde von einem Pizza-Lieferdienst jede Menge Pizza unter den Zuschauern verteilt und selbst die traditionelle Horseshoe Tavern bekam den Namen einer amerikanischen Brauerei verpasst, die Getränke nach Art von Bier herstellt, usw.
Dort gibt es offensichtlich eine sehr viel verbreitetere „kostenlos-Einstellung“. Vor allem um Getränke brauchte ich mir während des kompletten Festivals keine Gedanken machen. Die wurden einem überall hinterher geschmissen.
Bei einem Konzert in einem Klamottenladen gab es sogar „free Icecream“. Yeah!
Eine WG, die in den letzten Jahren angeblich immer einen inoffizielle NXNE Party geschmissen hat, wurde dieses mal ins offizielle Programm aufgenommen. Dort gab es gleich drei Bühnen: eine professionell und recht immobil aufgebaute im Garten (die machen sowas wohl öfters), eine im leergeräumten, aber viel zu kleinen Wohnzimmer und dann noch eine im Keller.
Was ich auch noch nicht erlebt hatte, war dieser öffentliche Platz. Als ich um die Mittagszeit dort ankam, war er komplett im Schatten und es war nicht allzu gemütlich dort. Wenige Minuten später, kurz bevor die Band anfing zu spielen, wanderte die Sonne am Wolkenkratzer vorbei und auf einmal war es dort sehr angenehm.
Nach meiner ersten Überschlagung habe ich dort in den fünf Tagen etwa 50 Bands gesehen und Toronto vermutlich eher als Einheimischer, als aus der „Touri-Sicht“ erlebt. Nachdem ich schon bei der Canadian Music Week, ebenfalls in Toronto, und dem Pop Montréal Festival war schaue ich mal, wo auf der Welt noch solche Club-Festivals angeboten werden.
Falls jemand heiße Tipps hat, Immer her damit!
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