in Stuttgart macht gerade die Nachricht die Runde, dass die ganze Innenstadt in naher Zukunft autofrei werden soll.
Das verwundert mich aus verschiedenen Gründen.
1. ist dieser Beschluss bereits über zwei Jahre alt, hier die Meldung von 2017. Warum er nun ausgegraben wird, kann ich nicht so ganz einordnen. Warum der Auftrag aus dem Haushalt 2018/2019 jetzt bis „vor 2030“ verschoben wird, ist mir auch nicht verständlich.
Vielleicht ist das alles schon ein bisschen der vorgezogener Wahlkampf, da im kommenden Jahr hier die Oberbürgermeister-Wahlen sind.
Die Grünen, die den aktuellen OB Kuhn stellen, sind vermutlich froh über diese Meldung, dass ihr „Chef“ endlich mal etwas macht, für das er bereits 2012 gewählt wurde. Und die Konservativen, inkl. des Handelsverbands und der IHK springen da natürlich auch gleich auf, weil sie alleine bei dem Begriff schon den kompletten Untergang der westlichen Welt kommen sehen. Dabei können sie sich überhaupt nicht vorstellen, dass eine autofreie Innenstadt für den Handel sogar Vorteile bringt. Das ist erst in Madrid beobachtet worden, aber auch z.B. im auto-verliebten Nordamerika, wie in Toronto oder Salt Lake City.
Oder, wie beim Spiegel ein Forscher der TU Harburg nach einem Versuch dort zitiert wird:
Es ist kein Projekt dieser Art weltweit bekannt, das gescheitert ist.
2. geht es überhaupt nicht um eine autofreie Innenstadt. In dem Beschluss wird immer wieder genannt, dass selbstverständlich der Lieferverkehr weiterhin fahren darf. Eine zeitliche Einschränkung für diesen Verkehr funktioniert seit Jahrzehnten auf der Königstraße schon nicht: dort darf man eigentlich nur bis 11:00 fahren, tatsächlich ist dort den ganzen Tag über Lieferverkehr.
Außerdem werden die Zufahrten zu den Parkhäusern und Parkplätzen weiterhin zugelassen. Auf der Karte weiter unten habe ich mal alle Parkhäuser von google über die OpenStreetMap Karte gelegt. Überall dorthin werden weiterhin noch Autos fahren dürfen und wie bereits jetzt z.B. an der Marktstraße vor dem bekannten, lokalen Modehändler zu sehen ist, werden Park- und Halteverbote von KFZ-Fahrer:innen sowieso konsequent ignoriert und genauso konsequent auch weder von der Stadt noch von der Polizei effektiv durchgesetzt.
Selbst der Sprecher der Stadt redet lediglich davon, dass es um eine „Reduzierung des Verkehrs“ geht.
3. ist die Innenstadt sowieso schon irgendwie weitgehend (so eine Art) autofrei. Auf der Karte sind alle Fußgängerzonen innerhalb des Cityrings blau eingezeichnet. Dazu habe ich lila die Straßen markiert, auf denen normale Autos jetzt eigentlich schon nicht fahren dürfen (abgesehen von Taxis) oder nicht fahren sollten; und, weil es teilweise ein sog. Shared Space ist, ist dort auch eine Halteverbotszone, die ebenso konsequent ignoriert und nicht durchgesetzt wird.
4. geht es sowieso nur um wenige Meter. Der aktuelle Aufreger, also der Bereich, von dem man gerade als „autofrei“ spricht, sind die ca. 350 Meter auf der grün eingezeichneten Eberhardstraße. Dazu soll, laut der Meldung ganz oben, irgendwann noch die Dorotheenstraße in dieses Konzept integriert werden. Da das aber noch nicht mal ansatzweise mit einem Termin genannt ist, habe ich diese Straße (die schräg über dem Schriftzug Stuttgart-Mitte direkt in ein Parkhaus verläuft) noch nicht eingefärbt.
Es ist also viel Geschrei um den Begriff autofrei – offenbar ohne dass sich jemand mal mit der Thematik befasst hat.
Die einen feiern es, die anderen verteufeln es – letztendlich wird am Ende (fast) nichts passieren.
Update 1: Die Jahreszahl der OB-Wahl in Stuttgart musste ich korrigieren. Meine Erinnerung gaukelte mir 2010 vor, die Wahl war jedoch im Oktober 2012, hier die Details.
Update 2: Just am selben Tag, als ich das niedergeschrieben habe, zeigt uns San Francisco, wie man mit 600Mio$ das Konzept #autofrei auch anders durchsetzen kann, hier der Einstieg dazu bei twitter.
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