Diesen Beitrag habe ich auf der Seite vom Zweirat Stuttgart geschrieben. Dort wurde jedoch entschieden, dass er dort nicht hinpasst, deswegen veröffentliche ich ihn eben hier:
Die Straßenverkehrsordnung sieht Fahrradstraßen vor. Analog zu einer Autobahn, bzw. Kraftfahrstraße, auf der nur Autos und keine Fahrräder erlaubt sind, verhält es sich auf diesen Fahrradstraßen: KFZ sind verboten!
Solche Fahrradstraßen gibt es selten in Deutschland und oft sind sie in Verbindung mit dem Zusatzschild „KFZ frei“ oder „Anlieger frei“. Jetzt hat die Stadt Stuttgart endlich eine erste Maßnahme aus dem zwei Jahre alten Beschluss des Gemeinderates zur „Lebenswerten Stadt für alle“ (Link) umgesetzt und eine 300m lange Straße zur Fahrradstraße umgewidmet.
Der Schritt ist jedoch nur minimal und daher sehr ernüchternd. Zum einen ist ein 300m kurzes Stück Straße in einem Straßennetz von fast 1500km lächerlich wenig. Abgesehen davon war diese Fahrradstraße davor schon da, nur eben mit einem genannten Zusatzschild „Anlieger frei“. Jetzt sind dort drei Zusatzschilder, nun sind nur noch „Taxis frei“, „Lieferverkehr von 5-11 Uhr frei“ und „Mobilitätseingeschränkte Personen frei“. Also immer noch nicht autofrei, aber ein bisschen mehr.
Dazu kommt noch, dass beide Enden dieser Fahrradstraße nicht besonders gut gelöst sind. An der Seite des Tagblatt-Turms muss man als Radfahrer:in querenden Autos auf dem Weg zum Parkhaus Vorfahrt gewähren, auf der anderen Seite geht es dann über den schlechten Radweg an der Holzstraße über eine Tiefgaragen-Ausfahrt, man quert eine Straße, die heftig von Schleichverkehr genutzt wird, muss dann an einer Litfasssäule über einen gemischten Rad- und Gehweg vorbeifahren, ohne daran vorbei sehen zu können und hat dann, je nach weiterer Fahrtrichtung, mindestens drei Ampeln, die man überqueren muss.
Alleine diese minimale Änderung hat jedoch den SWR auf den Plan gerufen und er hat einen Bericht über diese Fahrradstraße gemacht und in der Sendung „Zur Sache! Baden-Württemberg“ ausgestrahlt. Der Zweirat/Radentscheid wurden eingeladen, um dabei teilzunehmen. Leider sind von den vielen Aussagen, die wir in dem über einstündigen Dreh mit Interview machten, fast keine im ausgestrahlten Beitrag gekommen. Das ZDF war übrigens zeitgleich dort und hat auch gefilmt, allerdings zusammen mit dem Ordnungsamt.
Zum Beitrag: Natürlich machen wir ab und zu mal Fotos von der Stuttgarter Infrastruktur. Damit wollen wir dokumentieren, dass die Lösungen, die die Stadtverwaltung ausgedacht hat, in vielen Fällen einfach nicht funktionieren. Wenn man innerhalb weniger Sekunden mehrere Autos sehen kann, die ordnungswidrig in diese Fahrradstraße einbiegen (wie hier auf facebook), dann ist das ein sehr gutes Indiz dafür, dass diese Maßnahme so einfach nicht funktioniert.
Um einen Verbesserungsvorschlag zu machen, der kaum teurer gewesen wäre, aber deutlich effektiver und dem Anspruch einer lebenwerten Stadt viel gerechter gewesen wäre: man hätte den Durchgangsverkehr entfernen müssen. Die Einfahrt von der Holzstraße aus mit Pollern, Bordsteinen oder großen Blumenkübeln absperren. Somit kann man die Fußgängerzone aus der Marktstraße bis an die Holzstraße erweitern können. Mit roter Farbe auf dem Boden hätte man den Fußgänger:innen verdeutlichen können, dass hier ein Radweg durchführt. Auf dem freigewordenen Platz könnte man weitere Bäume pflanzen, Sitzgelegenheiten aufbauen oder auch z.B. eine große Schaukel aufstellen. All das macht eine Stadt deutlich lebenswerter, als dieser freie Platz, der ständig nur von Falschparkern missbraucht wird.
Im Endeffekt wird es dadurch eine Sackgasse und der KFZ-Verkehr meidet aufgrund des zusätzlichen Aufwandes, um zu wenden und dann erfolglos wieder heraus zu fahren, nach relativ kurzer Zeit vermutlich von ganz alleine diese Straße.

Wir wünschen uns – und fordern es für die 35249 Menschen, die für den Radentscheid Stuttgart unterschrieben haben – dass effektive Maßnahmen für den Radverkehr in der Stadt umgesetzt werden. Dazu gehört ein durchgängiges und sicheres Radwege-Netz! Jeder Mensch, von 8 bis 80 soll in der Lage sein, sicher und ungefährdet durch die Stadt radeln zu können. Das geht nicht mit ein bisschen Farbe, wie dieses Blau in der Eberhardstraße oder das Rot auf der Theodor-Heuss-Straße. Der OB Kuhn hat noch im Februar davon gesprochen, dass Stuttgart zur „echten Fahrradstadt“ werden soll. Der Gemeinderat hat die Forderungen des Radentscheids übernommen und sich zu noch ein paar weiteren Punkten verpflichtet. Dass jetzt beinahe ein ganzes Jahr lang an dieser Fahrradstraße geplant wurde, bis sie nun final umgesetzt wurde, ist viel zu wenig!
Bei dem Thema, was zum Themenkomplex der Verkehrswende gehört, sind alle Verantwortlichen deutlich mehr gefragt. Vom Gemeinderat müssten mehr konkrete Beschlüsse kommen, von der Verwaltung müssten mehr Vorschläge und Lösungen kommen. Sie haben freie Bahn, sie könnten und müssten sehr viel mehr bei dem Thema einbringen; durch diverse Beschlüsse sind sehr viele Maßnahmen möglich (wie z.B. die Übernahme der Radentscheid-Forderungen, der oben angesprochenen Beschluss zur lebenswerten Stadt oder das bereits zehn Jahre alte Verkehrsentwicklungskonzept). Ganz vorne dran müsste der OB stehen und immer wieder die Richtung vorgeben – leider ist er diesbezüglich völlig ohne Ehrgeiz und Profil.
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