am Donnerstag, 24. September, wird in Stuttgart ein neuer Bürgermeister für das Referat „Sicherheit, Ordnung und Sport“ gewählt, auch kurz Ordnungsbürgermeister genannt. Es gibt dafür in der ziemlich veralteten Gemeideordnung „Soll-Bestimmungen“, wer das Vorschlagsrecht für diesen Posten hat. Angeblich soll das gerade den Freien Wählern zustehen, allerdings gab es bei der letzten Wahl schon seltsame, politische Spielchen, so dass die Bürgermeisterin Fezer mit den Stimmen der Freien Wählern gewählt wurde – und nicht der grüne Kandidat Wölfle, der eigentlich nach dieser Soll-Bestimmung „dran“ gewesen wäre.
Es ist letztendlich eben doch eine Wahl und die Kandidaten mit dem besten Programm sollten gewählt werden.
Die Freien Wähler haben einen Bürgermeister der Kleinstadt Trossingen aufgestellt. Dort leben weniger Menschen, als in der Stuttgarter Verwaltung arbeiten. Ein Programm scheint dieser Clemens Maier überhaupt nicht zu haben. Der Zweirat Stuttgart hat einen Fragebogen an beide Kandidaten verschickt und um eine Beantwortung gebeten. Von Maier kam keine Antwort. Auch der BUND hat bereits im Juli eine Stellungnahme verfasst.
In den Zeitungsartikeln, die in der lokalen Stuttgarter Zeitung zu dieser Wahl erschienen sind (31.8. und 21.9.), wird nichts darüber geschrieben (leider nur gekürzte StZ+ Artikel, wenn man kein Abo hat). Man kann dort nur sowas lesen:

Er sei „ein Mann ohne jegliche Vision und Elan“ und lasse Führungskompetenz vermissen.

Gerade das Ordnungsamt wird in den nächsten Jahren eine zentrale und wichtige Stelle sein, die von jemandem mit Visionen, Inspiration und Intelligenz geführt werden muss. Es gibt unglaublich viele Stellen, wo Stuttgart, als eine der größten Städte Deutschlands, mit neuen Ideen und Entwürfen vorangehen muss, um Zeichen zu setzen. Natürlich beim Thema Mobilität, aber auch beim weiter gefassten Themenblock „lebenswerte Stadt“ oder beim Verhindern des Klimawandels. All diese Punkte müssen aktiv von allen Seiten der Stadt angegangen werden, die Zivilgesellschaft ist mit vielen Gruppierungen ganz vorne dabei, sei es durch den Radentscheid, die Initiative Stuttgart laufd nai, die Wanderbaumallee oder die Fridays for Future Bewegung – um nur einige zu nennen. Nicht nur diese Initiativen haben es geschafft, den Stuttgarter Gemeinderat soweit zu bringen, dass dort inzwischen auch gute Beschlüsse gefasst werden. Zum Beispiel das „Verkehrsentwicklungskonzept 2030“, den Beschluss zur fahrradfreundlichen Stadt oder zur autofreien Innenstadt. All diese Beschlüsse und Konzepte werden von der aktuellen Verwaltung jedoch nicht umgesetzt (oder nur so schleppend, dass man davon nichts mitbekommt).
Und genau dafür braucht es in Stuttgart eben einen Bürgermeister, der sein Ressort soweit im Griff hat, dass die politischen Entscheidungen auch umgesetzt werden, der seine Mitarbeiter:innen mit neuen, guten Ideen inspiriert und ihnen den Rücken bei neuen Themen freihält. All das scheint Maier nicht bieten zu können. Dass er trotzdem von Teilen der Grünen und von der SPD gewählt wird, ist mir unverständlich! Dass gerade die SPD einen Programm- und Ideen-losen Kandidaten der Freien Wähler unterstützt und nicht den LInken Christoph Ozasek, dessen Programm mit vielen Punkten des SPD-Programms übereinstimmt, will nicht in meinen Kopf gehen.

Auch die Art der Kommunikation des „Freien Wählers“ passt eher in die 1960er Jahre. Er ist der Meinung, dass man ihn ohne irgendein Programm erstmal wählen müsse, und dann könne man ja vielleicht mal miteinander reden. Gerade im Zuge der ebenfalls anstehenden OB-Wahl in Stuttgart, wo jede:r Kandidat:in damit wirbt, vor Ort zu sein, mich treffen oder mit mir reden zu wollen, ist diese Art der Politik aus längst vergangener Zeit sehr befremdlich.

Ich war die Tage ein bisschen mit dem Rad unterwegs und bin dabei auch in der Nähe von Trossingen gewesen. Also habe ich einen kleinen Umweg geplant, und habe mir das Städtchen mal kurz angeschaut. Schon etwa 4km vor Trossingen (noch auf Gebiet von Villingen-Schwenningen) wird mir ein geschotterter Radweg angeboten. Den lehne ich natürlich ab und fahre auf der Straße weiter.
Impressionen aus Trossingen /1
Jetzt ist es nur noch 1km bis Trossingen. Eine gut ausgebaute Straße, an der vierten Laterne sieht man schon das Radweg-Schild, das mir verbietet, auf dieser Straße zu fahren.
Impressionen aus Trossingen /2
Kurz vor dieser Kurve ist dann noch eine Brücke. Es ist dort recht eng (der Radverkehr aus beiden Richtungen muss hier fahren, zusätzlich noch die Fußgänger:innen). Und es gibt harte Kanten.
Impressionen aus Trossingen /3
Nach der Brücke noch ein Blick zurück. Es sieht so aus, als ob dieser Geh- und Radweg ziemlich schlecht angelegt wurde und inzwischen schon absackt. Bei „Autostraßen“ würde sofort ein Reparatur-Trupp losgeschickt, so noch lange nicht.
Impressionen aus Trossingen /4
Kurz vor dem Ortsschild dann mal ein roter Streifen. Naja, eher war er mal rot, unter dem schwarzen LKW-Abrieb ist er nur noch zu erahnen.
Impressionen aus Trossingen /5
Direkt hinter dem Ortsschild wird man dann von der Hauptstraße weg geführt, mitten in ein Wohngebiet. Dort hört der Radweg dann auch sofort wieder auf. Es reichte aber aus, um die Radler:innen von der Hauptstraße weg zu leiten. Man sieht einige Wohnhäuser an einer recht breiten Wohnstraße, die den Eindruck macht, relativ neu gemacht zu sein. Es gibt jede Menge Parkplätze auf den eigentlich schön breiten Gehwegen.
Impressionen aus Trossingen /5
Zum Thema ÖPNV hat Maier auch seine eigene, eingefahrene Kleinstadt-Meinung:

Die, für die Busse sinnvoll sind oder die aus Überzeugung damit fahren, haben ihr Angebot gefunden, und alle anderen fahren sowieso weiterhin Auto.

Dass das totaler Quatsch ist, muss man ihm offenbar noch irgendwie beibringen und dass es die Aufgabe der Stadtverwaltung ist, den Stuttgarter ÖPNV soweit zu erweitern, dass die Leute ihn gerne nutzen, hat er scheinbar noch gar nicht verstanden. Abgesehen davon, gibt es hier neben Bussen auch noch Stadtbahnen und die S-Bahn.
In Trossingen sieht das alles etwas trauriger aus. Eine „Bushaltestelle“, die lediglich 6min vom (zentralen?) Bahnhof entfernt ist, sieht so aus:
Impressionen aus Trossingen /16
Und der dazugehörige Fahrplan ist auch sehr übersichtlich.
Impressionen aus Trossingen /15
Mitten in dem Städtchen verfällt das Kinocenter. Offenbar hat er es als Bürgermeister dort nicht geschafft, die Randbedingungen dafür herzustellen – und es gibt offensichtlich auch kein Interesse daran, dieses Gebäude für andere Zwecke zu nutzen. Worin das alles mal endet, sah man in der Stuttgarter „Krawall-Nacht“ vor einigen Wochen
Impressionen aus Trossingen /14
Eine andere Wohnstraße sieht so aus. Auf beiden Seiten parken Autos, teilweise illegal auf dem Gehweg und alles ist asphaltiert. Die Autos stehen sogar direkt vor den Häusern. Man kann an den Kreidemalereien sehen, dass hier offenbar auch manchmal Kinder „spielen“ wollen, aber gar keinen Platz haben.
Impressionen aus Trossingen /11
Eine andere Straße. Auch hier parkt der Transporter im Hintergrund auf dem Gehweg zum Ein- oder Ausladen und man hat den eigentlich breiten Gehweg soweit als Autoparkplatz umfunktioniert, dass man kaum mit genügend Abstand aneinander vorbeilaufen kann.
Impressionen aus Trossingen /13
Die drei oder vier Einbahnstraßen, die ich gesehen habe, hatten alle keine Fahrradfreigabe, obwohl es genug Platz dafür gegeben hätte.
Das ist doch das Mindeste, was man im Jahr 2020 machen sollte! Ich kann mir gerade keinen Grund ausdenken, wieso man es nicht macht.
Impressionen aus Trossingen /12
Hier eine Straße, die viel zu breit ist, am Gehweg ist ein ausgebleichtes Schild, das einen Radweg irgendwohin anzeigen will. Man kann aber nichts mehr davon erkennen.
Impressionen aus Trossingen /10
Seit 1997 darf es innerorts keine benutzungspflichtigen Radwege mehr geben. Dass es in Trossingen (wie in vielen anderen Städten) immer noch welche gibt, zeigt gut den total veralteten Wissensstand der lokalen Verwaltungen. Oder auch deren egal-Einstellung gegenüber den geltenden Gesetzen und Verordnungen. Da wird überall gemacht, was man will und als Bürger müsste man eben an so vielen Stellen die eigenen Verwaltungen solange Sysiphos-artig verklagen, bis sie es gelernt haben.
Impressionen aus Trossingen /9
Und dass dieser Geh- & Radweg von der einen Seite kombiniert und von der anderen getrennt sein soll (zwischen den Schildern sind gerade mal 50m), passt natürlich auch keinesfalls zusammen. Jemandem, der ein Ordnungsamt übernehmen will, sollte ein solcher Faux-Pas nicht unterkommen. Vielleicht weiß aber auch einfach niemand mehr, dass das Schild da steht, schließlich sieht man es in diesem Gebüsch kaum noch.
Impressionen aus Trossingen /8
Und zwischen diesen beiden Schildern wird es dann noch kurios. Im Social Media nennt man sowas #SchilderBingo, wenn man einfach selbst irgendwelche Phantasie-Schilder malt und diese dann im öffentlichen Straßenraum aufhängt.
Impressionen aus Trossingen /7
Dann hat mir diese kleine Reise in die jüngere Vergangenheit doch schnell wieder ausgereicht und ich bin weiter nach Stuttgart geradelt, um noch bei Tageslicht anzukommen.

Fazit: Ich befürchte Schlimmes, nämlich dass Maier aus Trossingen aus sonderbaren Gründen „gewählt“ wird – auf jeden Fall nicht aufgrund (s)eines Programms. Von CDU, FDP, FW und der FCKAFD erwarte ich hier ja überhaupt nichts, aber alleine deren Stimmen würden nicht ausreichen. Dass jedoch selbst Teile der Grünen und die SPD für den Kandidaten der Freien Wähler stimmen werden, finde ich erschreckend. Und gerade im Anbetracht der Stuttgarter OB-Wahl, die bereits am 8. November stattfinden wird, kann ich nicht verstehen, wieso sie das Risiko eingehen, diesen ungeeigneten Kandidaten auch nur ansatzweise zu unterstützen. Im kommenden Wahlkampf werden sie definitiv mit diesem Thema konfrontiert werden und können dabei nur verlieren.


Kommentare

Eine Antwort zu „Trossingen“

  1. Avatar von Max Weitze

    Der Autor hat irgendwie recht,ich kann da nur zustimmen!Sind wir Trossinger etwa froh,dass der Herr Maier geht??

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