ich hatte noch nie Angst vor dem Leben hier in Deutschland. Vor guten zehn Jahren habe ich allen Freunden noch voller Überzeugung gesagt, dass wir in unseren Leben kein Krieg in Deutschland mehr erleben werden. Und uns allen war völlig unklar, wie das dritte Reich damals entstehen konnte. Das müsse man doch gesehen und etwas dagegen gemacht haben. Wir haben uns mit Anne Frank und der Welle beschäftigt. [Nein, nicht das gar nicht so perfekte Lied]
Alles unerklärlich, damals. Warum haben unsere Eltern oder Großeltern nichts dagegen gemacht?
Seit geraumer Zeit habe ich das mulmige Gefühl, dass „wir“ wieder dahin steuern. Hierbei meine ich dieses fiese Gemisch aus vielen kleinen Dingen. Sie sind einzeln kein großes Problem für unsere Demokratie, aber weil gerade alles zusammen kommt, eine unglaubliche Herausfoderung. Vorneweg natürlich diese eine radikale und populistische Partei (Fuck AfD!). Wie können diese Stammtisch-Parolen-Drescher von irgendeinem vernünftig denkenden Menschen überhaupt gewählt werden? (macht es das besser, sie zu beschimpfen?)
Dazu noch die schon fast täglich passierenden rechten Anschläge auf alles Fremde. Ja, verdammt, es ist rechtsradikaler Terrorismus – warum wird das so selten geschrieben? Warum überall nur ein „vermutlich“, nur ein „eventuell“, warum wird es nie „Terror“ genannt? Ich spiele gerne mal das „Was-wäre-wenn-Spiel“ und drehe einfach mal die Vorzeichen um. Hui – dann wäre hier was los.
Seit Jahren schon bin ich Mitglied bei Reporter ohne Grenzen, weil ich finde, dass freier Journalismus eine extrem wichtige Stütze unserer Gesellschaft ist, auch ohne, dass ich irgendwelche „Verbindungen“ zum Journalismus habe. Wenn ich dann höre, dass sich nicht mal mehr in „meinem“ Deutschland Reporter frei bewegen können, dann ist definitiv eine Grenze überschritten. Das ist nur ein Beispiel für die schlechten Teile der Gesellschaft. Ich bin nicht ganz sicher, wie groß dieser schlechte Teil ist. Jedoch treten sie leider immer öfter öffentlich zu Tage und genieren sich nicht mal mehr ihrer „Taten“. Blicke in das „social media“, vor allem in facebook bringt unglaublich Hass-erfüllte Seiten und Profile zu Tage. Jede Äußerung von mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten wird sofort mit Hass überschüttet, oft im strafbaren Bereich. Viele verweisen auf andere Plattformen, auf denen es noch viel schlimmer zugehen muss. Ich will das alles nicht mehr lesen und frage mich gleichzeitig, wo all dieser Hass herkommt. In machen (vielen?) Fällen ist es auch vermutlich einfach nur Unverständnis, weil ihre Aussagen und Handlungen eben einfach gar nicht zusammenpassen; auch eine gefährliche Kombination.
Ich befürchte, dass all dies unsere Gesellschaft ein bisschen weiter nach rechts rückt, jeden Tag ein bisschen weiter. Immer weiter und weiter. Dahin, wo sicherlich niemand enden will.

Vor Monaten habe ich diese Tendenzen schon vernommen, war mir aber nicht so sicher, ob ich es nicht alles falsch einschätze. Schließlich gab es damals noch fast gar keine Mahner oder „Wehret den Anfängen“-Rufer. Inzwischen ist das etwas anders, eigentlich allzu offensichtlich. Und man kann, mit genügend offenen Augen und entsprechendem Interesse, auch viele Berichte/Kommentare/Meinungen über eine sehr dunkle Zukunft durch eine erstarkte Rechte in Deutschland lesen. Ob sie pessimistisch oder eher realistisch gewesen sein werden, bleibt abzuwarten. Ich hoffe, dass es hier endlich mal stimmt, was mir immer gerne vorgeworfen wird: Pessimismus.

Ich habe immer noch keine Angst hier in Deutschland – aber wohl fühle ich mich gerade nicht. Noch kann ich es in meiner extrem privilegierten wie zufälligen Situation (weiß, männlich, „sogar“ ziemlich deutsch, relativ gesund, mit Job) hier gut aushalten. Die aktuelle Situation ist aber noch nicht ausgestanden. Zugegeben: Ich tue aktuell auch nicht viel gegen die Bedrohung von rechts. Hier und da mal eine Demo, hier und da mal ein Bild oder eine Aussage auf facebook oder twitter weiterleiten. Ab und zu versuche ich mit meinen reduzierten sprachlichen Mitteln meine Meinung zu sagen. Letztendlich hoffe ich aber hauptsächlich darauf, dass irgendwann die „Einsicht“ einkehren wird. Ob das allerdings eines Tages gereicht haben wird, werde ich, werden wir alle, nach den Wahlen sehen. Nach den nächsten, nach den danach, nach denen danach. Irgendwann wird es hoffentlich wieder besser, denn schlechter darf es nicht mehr werden!

Ich kann mit Worten nicht besonders gut umgehen, daher ist mir der letzte social media Trend entgegen gekommen: #belikebill
Ein Strichmännchen, ursprünglich eben Bill, der etwas macht (oder eben nicht) und daher als recht schlau und/oder gut dargestellt wird. Da habe ich dann auch sofort mitgemacht und versucht, die aktuell von mir empfundene Lage hier in Deutschland in wenige Worte zu packen:
Deutscher Michel und das Grundgesetz #belikebill


Kommentare

Eine Antwort zu „was passiert hier?“

  1. Marina Weisband hat sich ähnliche Gedanken gemacht. Durchaus lesenswert: http://marinaslied.de/zeit-zu-kaempfen/

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