Jedes Jahr im Juni schaut ein Großteil der Fahrrad-Welt neidisch nach Berlin. Zehntausende, wenn nicht sogar über 100.000 Radfahrende versammeln sich dort zur Sternfahrt und demonstrieren für fahrradfreundlichere und lebenswertere Städte. Ein kleines Detail dabei ist uns letztes Jahr aufgefallen: Es gibt dort einen internationalen Zubringer aus Polen, der über Nacht bis nach Berlin fährt. „Das können wir auch!“ sagten wir damals spontan.
Dann gingen allerdings einige Monate ins Land und niemand dachte mehr an die Sternfahrten, weder im fernen Berlin, noch hier in Stuttgart. Im April ist es uns wieder eingefallen und wir überlegten konkret, ob wir das denn wirklich auch können und wie wir es umsetzen wollten. Ein mögliches Ziel ist schnell ausgemacht: Straßburg. Das ist recht weit weg und ebenfalls ein internationaler Startpunkt, der dank offener Grenzen gut zu erreichen ist. Außerdem ist es eine Partnerstadt von Stuttgart. Nach einer groben Schätzung der Strecke haben wir geplant, um Mitternacht am Münsterplatz in Straßburg los zu fahren, damit wir mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 20km/h noch pünktlich um 09:30 zu unserem Einstieg in Weil der Stadt ankommen werden. Damit war vorerst eigentlich schon alles geklärt und wir starteten ein bisschen Werbung im Social Media und beim ADFC Landesverband für unsere Tour. Wir waren trotzdem immer noch skeptisch, ob das alles einfach so funktioniert. Niemand von uns ist bisher über Nacht gefahren und wir wussten nicht, ob andere diese Schnapsidee auch gut finden und mitmachen wollten.
Kurz vorher war die Wettervorhersage nicht besonders gut. Es wird auf jeden Fall regnen, die ersten Zusagen sagten wieder ab. Und dann kam die Frage auf: Wie kommen wir eigentlich nach Straßburg? Bevor noch jemand etwas anderes sagen konnte, hieß es sofort, dass wir doch auch mit dem Rad dort hinfahren könnten und wir uns am Samstag vor der Sternfahrt um 13:00 am kleinen Pavillon auf dem Stuttgarter Schloßplatz treffen. Einer hatte die Route der Etappenfahrt des RTC Stuttgart auf seinem Navi und wir wählten deren Rückfahrt für unsere Hinfahrt. Bei bestem Wetter ging es zu dritt los. Wir fuhren gemütlich in Richtung Schwarzwald bis wir in den Regen kamen. Ein Schauer auf einer Abfahrt ins Nagoldtal durchnässte uns ziemlich, es war keine Möglichkeit sich unterzustellen. Weiter ging es dann in Regenklamotten, die Motivation war trotzdem nicht gebrochen.
Beeindruckend war, trotz des schlechten Wetters, die Fahrt durch den wolkenverhangenen oder nebeligen Schwarzwald. Diese Stimmung war nicht so richtig mit einer Kamera einzufangen, erst recht nicht mit so einer schlechten Smartphone-Knipse. Außerdem konnte man ja auch nicht ständig anhalten, um Fotos zu machen. Wir hatten ja eine recht knappe Zeitplanung einzuhalten.
Wir fuhren einfach immer weiter und weiter, machten viele Päuschen zwischendurch bis wir gegen 23:00 in Kehl ankamen. Die beleuchtete Europabrücke zeigte uns die damalige Grenze und wir rollten mit leichter Gänsehaut drüber.
Die erste Etappe (Daten auf Strava) war geschafft!
Jetzt müssen wir nur wieder zurück. Wir ziehen uns nochmal etwas Trockenes an und finden zum Glück noch ein Restaurant, in dem wir nachts um elf Uhr noch etwas essen und unsere Trinkflaschen auffüllen können. Dann machen wir uns auf den Weg zum Münsterplatz. Dort erwarten wir noch drei weitere Mitfahrer, die mit dem Zug nach Straßburg gereist sind. Ein Gruppenfoto gibt es auf twitter. Der Rückweg führt uns über die EuroVelo15 im Rheintal entlang nach Karlsruhe. Es geht über meist ruhige Straßen, teilweise auch über asphaltierte Nebenwege ohne Autoverkehr mitten im Wald. Sechs Fahrräder rollen lautlos durch die Nacht, unsere Lampen weisen uns den Weg. Man sieht nie weiter als ein paar Meter, die Summe der Scheinwerfer macht jedoch mehr Licht, als ich es anfangs noch befürchtet hatte. Man hört allerlei Geräusche, die ein Stadtkind sonst nicht mehr kennt. Unsere Geschwindigkeit passt offenbar ganz gut für alle Mitfahrer, niemand wird abgehängt, niemand prescht ständig alleine voraus.
Überraschend pünktlich und trocken kommen wir gegen 05:30 am Bahnhof in Karlsruhe an, dort es gibt Kaffee und eine Kleinigkeit zum Essen. Außerdem wartet hier noch ein weiterer Mitfahrer auf uns. Zu siebt geht es nach der Pause weiter. Nur wenige Kilometer später müssen wir wieder anhalten und uns umziehen, weil wir in einen starken Schauer kommen.
Dann fuhren wir durch Pforzheim und von dort ins Würmtal bis zu dem offiziellen Start der Sternfahrt. Auch diese Etappe ist auf Strava aufgezeichnet.
Um 09:44 wurden wir dort etwas verspätet trotzdem mit Applaus begrüßt. Nach 160km von Straßburg, bzw 350km vom Start vor knapp 20h waren wir zwar erschöpft aber stolz, das geschafft zu haben. Wir fahren die letzten 40km gemütlich mit der Menge von tausenden Radfahrer:innen zurück nach Stuttgart und schmieden dabei schon die ersten Pläne, was wir im nächsten Jahr wohl machen könnten.
Kommentare
2 Antworten zu „Mondfahrt“
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[…] Dort fahre ich ja ab und zu mit dem Rennrad hin, von dort heim oder beides. Auch die Mondfahrten (2019 und 2020) führen durch den Schwarzwald nach Straßburg. Vom Zeitrahmen her gibt es nur noch wenige […]
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[…] letzten Jahr hatten wir die Idee, eine Mondfahrt zu Sternfahrt zu machen. Das zusätzlich noch als „internationale Veranstaltung“ […]
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