letztes Jahr im Spätherbst hat die Stadt eine neue Kampagne vorgestellt: „Stuttgart Parkt Fair“. Damit wollte sie auf die Einsicht der FalschparkerInnen hoffen, die sie auf ihr Fehlverhalten hinweist. Eine solche Kampagne wird alle paar Jahre neu durchgeführt, weil man eben feststellt, dass die bisherige überhaupt nichts gebracht hat.
Auch die aktuelle Aktion bringt wieder überhaupt nichts, daher geht der Hashtag #StuttgartParktFair bei twitter ein bisschen rund, meist verbunden mit einem Bild von einem falschparkenden Auto. Diese Autos stehen wie selbstverständlich in jeder noch so störenden Position, die zugehörigen FahrerInnen haben inzwischen gelernt, dass man in Stuttgart offensichtlich nichts befürchten muss. Tagsüber kümmert sich das Ordnungsamt ein bisschen um Falschparker, wenn sie Feierabend haben, müsste es die Polizei machen (was sie aber definitiv nicht macht).
Jetzt hat die Stuttgarter Zeitung diesen Mini-Trend bemerkt und einen Bericht dazu erstellt. Anfangs waren dort einfach ein paar Tweets in dem Bericht eingebunden. Dann hatte wohl jemand kalte Füße bekommen und aus den Tweets wurden Screenshots auf denen die Kennzeichen unkenntlich gemacht wurden. Dieses Ammenmärchen mit den verpixelten Kennzeichen hält sich wacker, wobei es bereits 2007 ein Urteil dazu gibt, das eindeutlig aussagt, dass es überhaupt kein Problem ist, solche Kennzeichen zu veröffentlichen.
Dieser Bericht war mindestens einen Tag lang unter den Top 5 der meistgelesenen Artikel auf der Homepage des Blattes. Vermutlich hat die Zeitung gemerkt, dass sie damit einen Nerv getroffen hat. Die veröffentlichten FalschparkerInnen, inkl. dieses Hashtags, wurden immer mehr, es gibt jetzt sogar ganz neue Twitter-Accounts, die nur solche FalschparkerInnen posten. Vermutlich haben sich auch ein paar dieser ertappten FalschparkerInnen auch bei der Zeitung beschwert.
Die Zeitung versucht nun die „an den Pranger stellenden“ wiederum selbst an den Pranger zu stellen und schreibt einen zweiten, etwas schärferen Artikel. Jetzt werden Zahlen hinzugefügt und Beteiligte kommen zu Wort. Damit ist die Stuttgarter Zeitung jedoch überfordert. Von der Stadt lässt sie sich die bekannte Beschwichtigung erneut erzählen, ohne auch nur ein bisschen kritisch nachzufragen. Die Stadt steht auf dem Standpunkt, dass sie nur in Brandschutzzonen, auf Behindertenparkplätzen und auf e-Ladezonen abschleppen muss. Die deutschlandweite ist anders, aber das stört bei der Stuttgarter Verwaltung niemand. Meist kommt dann das Argument, dass man ja liebend gerne mehr abschleppen würde, aber man habe einfach kein Personal. Auch hier könnte man ja mal nachfragen, was daran hindert, dass genügend geschultes Personal eingestellt wird?
Nebenbei: Ich würde den Job sogar für zwei oder drei Stunden pro Woche ehrenamtlich machen, wenn zumindest ein Teil der „Einnahmen“ dann an ein von mir bestimmtes gemeinnütziges Projekt gespendet wird.
Den vierten Spieler am Tisch, die Polizei, kommt in dem Artikel gar nicht zu Wort. Auch hier gäbe es ein paar Fragen zu stellen, und sich natürlich nicht von dem allgemeinen Marketing-Geschwätz einlullen zu lassen. Immerhin werden in Stuttgart Kinder auf dem Gehweg überfahren (sic!). Ein Grund dafür sind evtl. versperrte Sichtachsen, die Kinder sehen die Autos nicht, die Autos sehen die Kinder nicht. Aber solange der Polizeipräsident Lutz öffentlich aussagt, dass er kein Interesse daran hat, sich um die Einhaltung der StVO zu kümmern, wird das vermutlich weiterhin vorkommen. Das krasseste Beispiel wurde erst vor wenigen Wochen verhandelt: eine Frau fuhr in eine SUV ein Kleinkind auf einem Parkplatz tot und wurde kurz darauf sogar mit dem Smartphone am Ohr erwischt. Ein solches Verhalten zeigen nur Menschen, die von der Polizei und dem Ordnungsamt nichts zu fürchten haben.
Auch die Mär von dem „Parkdruck“ könnte man mal hinterfragen. In den Stuttgarter Innenstadtbezirken ist seit dem Jahr 2000 die absolute Zahl der privaten Autos um etwa 10% zurück gegangen – und das, obwohl die Stadtbezirke im ähnlichen Maßstab gewachsen sind. Diese Zahlen gibt es auf den Seiten der Stadt, müsste man nur recherchieren. Wenn es jeder „interessierte Bürger“ kann, sollte es für MitarbeiterInnen einer Zeitung doch ein Klacks sein. Gäbe es wirklich diesen „Parkdruck“, würden die Leute sich nicht mehr und mehr dieser SUVs anschaffen, sondern – wenn überhaupt Autos – dann die kleinsten, die es gibt. Oder eben Roller, wie man das in jeder italienischen Stadt sehen kann. Wenn es diesen „Parkdruck“ wirklich gäbe, dann wären die Parkhäuser nicht jede Nacht leer, während die Leute direkt davor falsch parken. Es herrscht einfach ein Bewusstsein vor, dass man „sein heiligs Blechle“ immer und überall abstellen darf – und in den meisten Fällen stimmt das ja auch. Das Ordnungsamt und die Polizei dulden das alles.
Aber der Höhepunkt der Berichterstattung ist immer noch nicht erreicht. Die Journalistin hat jetzt beim Datenschutzbeauftragten des Landes BW nachgefragt und dort ist man der Meinung, dass diese Fotos nicht legal veröffentlicht sind (und das obwohl es ein anders lautendes Urteil gibt, siehe oben). Auch hier wieder keine Nachfragen. Dieser Datenschutzbeauftragte ist übrigens auch der Meinung, dass der Name von Anzeigenerstellern zwingend auf dem Brief zu stehen hat, der den Beschuldigten vorgelegt wird. Das setzen andere Bundesländer (wie z.B. Hessen) anders um und stützen sich auf die selbe, europäische Grundlage. Seltsam, diese Datensparsamkeit. Bei Autos fordern, bei Menschen nicht.
Die weiteren Schritte sind jetzt noch in einer fernen Zukunft. Vielleicht schafft es die Zeitung aber ja mal tatsächlich, sich mit dem real existierenden Problem des immer-und-überall-Falschparkens zu beschäftigen und dafür von der Stadt und der Polizei konkrete Lösungen abzuverlangen.
Als Fazit möchte ich Hermann Knoflacher nennen, der ein Buch mit dem Titel „Virus Auto“ geschrieben hat. Dort wird erklärt, dass normale Menschen kaum noch rational denken können, sobald sie im Besitz eines Autos sind. Der Datenschutzbeauftragte scheint so zu denken, die MitarbeiterInnen bei der Stadt, die Polizei. Alle haben dieses irrationale „Verständnis“ für FalschparkerInnen, für angeblich illegal veröffentlichte Kennzeichen und sehen überhaupt kein Problem darin, dass es auf Stuttgarter Straßen über 28.000x im Jahr kracht, mit all den Toten und (Schwer-) Verletzten. Alles wird dem Auto untergeordnet und eine lebenswerte Stadt bleibt in weiter Ferne.
Für mich ein weiteres Beispiel, wieso die Stuttgarter Zeitung, bzw. ihr Pendant die Stuttgarter Nachrichten, absolut kein Abo-Kandidat ist. Neben dem Aufbau von solchen Internet-Prangern fällt sie bei mir regelmäßig dadurch auf, dass sie alle paar Monate wieder die alten Listen „Stuttgarts 10 beste Brunch-Locations“ (und noch mehr in dem Stil) auspackt. Sonst halt viel Fußball und sonstiges, irrelevantes. Eine gut recherchierte Geschichte, wie man es in anderen Zeitungen findet, sucht man hier meist vergebens – aber das scheint offenbar auch nicht der Ansporn dieser Zeitungen zu sein.
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