viele Fronten!

wenn man sich fast täglich dafür einsetzt, dass die eigene Stadt fahrradfreundlicher und somit auch lebenswerter wird, stößt man auf Widerstände aller Art.
Zum einen ist da die Politik, die freiwillig nichts ändern will und die man sprichwörtlich zum Jagen tragen muss. Wie oft haben wir bei den Unterschriften-Sammlungen zum Radentscheid die Frage gehört, wieso eine solche Initiative in einer grün regierten Stadt und einem grün regierten Land überhaupt nötig ist (und auch bis heute leider keine Antwort darauf gefunden).
Dann ist da die Verwaltung, die immer wieder Beschlüsse der Politik bestenfalls ignoriert oder gar aktiv boykottiert. Man könnte dabei z.B. das Verkehrsentwicklungskonzept 2030 (VEK2030) nennen, das bereits 2009 erstellt wurde und in dem auf weit über 100 Seiten viele gute Sachen stehen. Aber die Stadt sieht heute eigentlich noch genauso aus, wie vor diesem Beschluss. Es gibt auch einen Beschluss zu „Stuttgart laufd nai“, also zur autofreien Innenstadt von Juli 2017 (mehr). Aber auch hier passierte in den letzten zweieinhalb Jahren eigentlich nix; lediglich auf einer 350m langen Straße wurden die „KFZ frei“ Schilder mit „Lieferverkehr frei“, „Taxi frei“ und „Rollstuhlfahrer frei“ Schilder ausgetauscht. Dass der Gemeinderatsbeschluss vom Februar 2019 zur Übernahme der Ziele des Radentscheids bisher noch überhaupt nicht in der Verwaltung angekommen ist, muss ich wohl nicht erwähnen.

Heute soll es aber um die lokale Presse gehen. Leider gibt es in Stuttgart nur eine einzige Zeitung mit einer größeren Auflage. Diese kommt in zwei Aufmachungen daher, die allerdings üblicherweise den identischen Inhalt bei lediglich anders gestalteten Titelseiten hat. Die eher in gelb gehaltene Stuttgarter Zeitung und die eher blaue Stuttgarer Nachrichten. Ich spreche eigentlich nur von der Stuttgarter Zeitung, weil die Nachrichten aufgrund ihrer großen VfB-/Fussball-Prioritäten von mir noch viel mehr ignoriert wird.
Beide haben jedoch z.B. im letzten Jahr den Hashtag #Stuttgartparktfair aufgegriffen und es als verwerflich dargestellt, indem sie es als „Internet-Pranger“ beschrieben, dass auf Twitter von wenigen kleinen Accounts unter diesem Schlagwort falsch parkende Autos mit erkennbarem Kennzeichen veröffentlicht werden. In ihrem vorauseilenden Gehorsam, um diese Falschparker:innen so gut als möglich zu schützen und den Status der Autostadt zu zementieren, haben sie dann mit ihrer enormen Reichweite ein paar Screenshots dieser twitter-Benutzer veröffentlicht. Die Namen und Profilbilder der Twitter-Benutzer sind in der Galerie des Artikels sichtbar, die Kennzeichen der Falschparker wurden unkenntlich gemacht.
Das ist vermutlich eher ein „Internet-Pranger“: die Stuttgarter Zeitung hat auf twitter über 120.000 Follower, die von ihr an den Pranger gestellten Benutzer haben gerade mal 70-110.

Ein anderes Beispiel, das ganz gut die Denkweise der Stuttgarter Zeitung und ihrer Recherche-Fähigkeiten darstellt ist der Bericht über die längst fälligen Änderungen an der Fahrradstraße. Anstatt irgend etwas Positives an der (wie bereits oben genannten und längst überfälligen) Umsetzung des mehrheitlich gefassten Gemeinderatsbeschlusses zu erwähnen oder eben auf prozessliche Verzögerungen einzugehen, kann die Stuttgarter Zeitung nichts anderes denken als: „Autos unerwünscht an der Eberhardstraße“ – wie gesagt, es handelte sich bisher schon um eine Fahrradstraße! Dass schon der erste Satz im zweiten Absatz keinen Sinn mehr macht, ist schon fast nebensächlich („Susanne Scherz, Leiterin der Abteilung Straßenverkehr beim Amt für öffentliche Ordnung nach, macht klar, dass Kuhns Bekannte nun umdenken müssen.“). Was aber meiner Meinung nach schon etwas peinlich ist: dass der Name des „Tiefbauers“ Hutt mehrmals falsch als Huth geschrieben ist.

Und am Montag, 20. Januar, kam mal wieder so ein Artikel, in dem die Stuttgarter Zeitung ihre Meinung über Radfahrer:innen kundtun musste. Am 7. Januar war es morgens offensichtlich sehr glatt. Das habe ich auf meinen privaten Social Media Kanälen mitbekommen. Bis ich allerdings morgens mal aufstehe und ins Büro radle, ist das Thema Glatteis normalerweise immer wieder erledigt. Die Stuttgarter Zeitung erwäht anfangs, dass es viele Meldungen über bei Glatteis gestürzte Radler:innen gegeben hat und dass nur durch gegenseitige Warnungen der Radfahrer:innen untereinander und durch angepasste Geschwindigkeit nicht mehr passiert ist.
Eine kurze Erklärung für alle Autofahrer:innen unter meinen Lesern: angepasste Geschwindigkeit ist das Reduzieren der Geschwindigkeit, damit man das Fahrzeug bei jeder Situation noch unter Kontrolle hat.
Den Artikel haben sie dann damit geschlossen, den Radfahrer:innen grundsätzlich mal Lügen zu unterstellen:
"Die Wahrheit" darf nicht fehlen
Wie gesagt, ich war nicht betroffen. Aber mir sind verschiedene Dinge klar:
1. ich brauche keinen Radunfall bei der Polizei melden. Nach den bisherigen Erfahrungen nimmt sie das gar nicht oder nur sehr widerwillig auf. Einen Alleinunfall zu melden bringt mir auch überhaupt nichts.
2. aufgrund niedriger Geschwindigkeit und zu erwartenden Rutschpartien passierte bei den Glatteis-Unfällen normal nichts schwerwiegendes, vielleicht ein paar Schürfwunden und blaue Flecken. Dafür stundenlang in eines der chronisch überfüllten Krankenhäuser zu gehen, wird niemand machen (außerdem gibt es noch mehr in Stuttgart, als die beiden genannten.)
Dennoch sind diese üblichen, geringen Verletzungen keine Ausrede, die Rad-Infrastruktur nicht in Schuss zu halten!
3. bei der Wettersituation, wie am 7. Januar, als einfach überall Glatteis war und auch die Autos jede Menge Unfälle erzeugten, wird kein:e Radfahrer:in bei Minusgraden auf der Straße liegen bleiben um auf einen Rettungswagen zu warten. Solange es irgendwie geht, wird man sich wieder aufs Rad setzen und die Fahrt beenden.
Auch hier: das ist kein Grund, dass die Radinfrastruktur nachrangig behandelt wird!

Zum Glück gibt es noch die Kontext Wochenzeitung, die uns ab und an etwas Rückenwind bei unserem Engagement für eine lebenswerte Stadt gibt. Und vielleicht erreicht der oder die neue Oberbürgermeister:in nächstes Jahr in der Verwaltung mehr, als der sehr blass gebliebene Kuhn. Und die Politik hat auch probiert, einen ambitionierten Doppelhaushalt aufzustellen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie auch hinterher ist, dass alles nun auch so umgesetzt wird und nicht mit der Abstimmung die Verantwortung dafür wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen hat.


Kommentare

2 Antworten zu „viele Fronten!“

  1. Ich muss widersprechen. Einen Alleinunfall melden bringt was. Nämlich nooch höhere Prozentzahlen für die alljährliche Meldung, dass Radfahrer viele Unfälle verursachen.

  2. […] meinem letzten Beitrag habe ich dargelegt, wie man sich fühlt, wenn man auf dem sehr steinigen Weg von einer Autostadt zu […]

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