Berlin hat es vorgemacht: während der Corona-Zeit haben sie alle Pläne zu zukünftigen Radspuren aus den Schubladen gekramt und innerhalb kürzester Zeit umgesetzt. Klar, nur „temporär“, die Abtrennung zum parallel verlaufenden Autoverkehr ist nur schnell mit Baken umgesetzt (hier gibts Bilder dazu). Aber ein guter erster Schritt zur dringenden Neuverteilung des öffentlichen Raums.

Stuttgart hat hingegen wochenlang nichts dergleichen gemacht, obwohl es auch hier schon länger Pläne für eine geschützte Radspur gibt. Zuerst hat der Radentscheid/Zweirat eine dieser neudeutsch „PopUp Bikelanes“ genannten temporären Radspur als Demo angemeldet, hier mehr dazu. Dann hat Greenpeace Stuttgart auch noch eine solche temporäre Radspur als Demo angemeldet, hier mehr dazu. Inzwischen ist Felix Weisbrich, der das Projekt in Berlin verantworet, zu einem regelrechten „Star“ der Verkehrswende geworden, es gibt sogar ein Handbuch für alle deutschen Kommunen, wie man innerhalb von 10 Tagen solche Radwege einrichten kann. Und auch wenn „der deutsche Autofahrer“ sich das nicht vorstellen kann: das ist tatsächlich völlig legal und mit allen Gesetzen vereinbar!

Zum Hauptbahnhof

Zurück zu Stuttgart: sie haben es inzwischen auch geschafft, sich zu zwei solcher temporären Radspuren auf zwei Straßen überzeugen zu lassen. Die Pläne sehen aber, hauptsächlich für die Theodor-Heuss-Straße, nicht besonders gut aus (Abschnitt 1, Abschnitt 2 und Abschnitt 3). Ich will mal ein bisschen genauer auf die verschiedenen Punkte eingehen und fange gleich am Beginn der Spur am Rotebühlplatz an. Also, schön wäre es ja, wenn die Spur bereits dort beginnen würde. Tut sie aber nicht, sondern erst 150m später.
Hier hätte man super die Engstelle der Baustelle entfernen können und einen freien Rechtsabbieger für alle Radfahrer:innen hinmachen können. Hätte, hätte….
(kein) Beginn der PopUp BikeLane
Interessant ist diese unglaubliche Menge an Verkehrs-Schildern. Einmal will ich da noch langfahren und mal zählen, wie viele da wirklich stehen. Alleine von hier sieht man schon über zehn Stück. Da, wo die grüne Ampel ist, fängt die temporäre Radspur an.
Wenn man sich nun also durch diese enge Baustelle schlängelt (mit Lastenrad oder mit Anhänger kaum zu machen), kommt man kurz später zum Beginn der PopUp BikeLane. Man staunt nicht schlecht, wie sich die Stadt sich das wohl gedacht hat. Einfach einen gelben Strich auf die Straße malen und dann sind die Radfahrenden schon gut genug geschützt. Klar, man weiß ja, wie gut sich die (Stuttgarter) Autofahrer:innen an die Regeln halten.
"Schutz" der Radfahrer:innen durch die Stadt
Als kleiner Vergleich: So hat die Stadt die Greenpeace-Demo abgesichert. Mit einem Anhänger, der auch auf Autobahnbaustellen verwendet wird. Mit riesigen, reflektierenden Flächen und einem blinkenden Pfeil. Das alles für eine Demo von 3h. Für die temporäre Radspur, die Monate dort verbleiben soll, reicht ein gelber Strich. Irgendwas stimmt da doch an der Verhältnismäßigkeit nicht?!

Schutz der Greenpeace PopUp BikeLane
Schutz der Greenpeace PopUp BikeLane (Foto: Zweirat Stuttgart)

Zurück zur aktuellen Radspur: hier, am Anfang, stand ich heute Mittag mal für wenige Sekunden und stellte fest, dass diese Querstraße scheinbar ziemlich gut genutzt wird. Fünf Autos innerhalb von 20 Sekunden. Während die Radler:innen hier von rechts nach links schwenken sollen, gibt es motorisierten Querverkehr von links nach rechts. Das war mir in dem Ausmaß gar nicht so klar, auch wenn ich schon immer dafür bin, solchen Querverkehr maximal zu reduzieren. Hier muss niemand lang fahren. Es gibt eine geschützte Kreuzung, die mit einer Ampelschaltung verhindert, dass durch Unachtsamkeit Leben gefährdet werden. Aber das versuchen Autofahrer:innen natürlich immer zu umgehen, um „schneller“ zu sein; wohlwissend, dass die schwächeren Verkehrsteilnehmer immer zurückstecken werden, um ihre Haut zu retten.

Querverkehr auf der PopUp BikeLane

Im weiteren Verlauf dieser Strecke kommen noch weitere vier Querstraßen, bzw. Ein- und Ausfahrten, die potentiell gefährlich sind und einige Fußgänger-Ampeln, die natürlich nicht auf eine Fahrrad-Geschwindigkeit eingestellt sind.
Und als großen Unterschied zu den Berliner Radspuren fällt auf, dass in Stuttgart keinerlei Schutz für die Radfahrenden angedacht ist. Keine Baken, keine Rüttelstreifen, keine Erhöhungen, einfach nichts (abgesehen von dem gelben Strich). Diese Spur geht bis zur Bolzstraße, von dort kann man dann über die Lautenschlagerstraße z.B. irgendwie zum Bahnhof. Das ist in den Köpfen der Stuttgarter Stadtplaner:innen wohl das absolute Maximum gewesen, auch weil an der übernächsten Kreuzung sowieso schon wieder das Radfahren komplett verboten ist. Diese Kreuzung hat es auch auf diese virale Postkarte geschafft.

Die andere Richtung

In die andere Richtung, also grob gesprochen vom Hauptbahnhof zum Rotebühlplatz sieht es noch viel schlechter aus. Auch fängt diese Spur hier irgendwo im Nix an. Man hat an der Kronenstraße bereits vor Jahren mal ein bisschen Rad-Infrastruktur angelegt.
Rad-Infrastruktur in der Kronenstraße
Hier würde es jetzt links auf die Theodor-Heuss-Straße gehen.
Rad-Infrastruktur in der Kronenstraße
Dass sich die normalen Radfahrer:innen von dieser dreispurigen Bundesstraße abschrecken lassen, ist nur allzu verständlich. Wer traut sich schon zu, hier zu fahren? Erst recht, wenn man wieder die aufgemotzten Protzkarren hier unterwegs sind und ihre Rennen fahren?
die dreispurige Theodor-Heuss-Straße
Wer dennoch fährt, kommt etwa nach 500m dann zum Anfang der temporären Radspur in diese Richtung. Das Schild mit dem Hinweis „rechtzeitig einordnen“ ist eher ein Witz, denn auf dieser Seite sind tatsächlich solche gelben Hindernisse zum Schutz der Radfahrer:innen auf der Straße aufgebaut (natürlich nichts, was ein SUV nicht auch überfahren könnte, was man auch schon beobachten konnte). Es gibt tatsächlich noch ein zweites Schild, keine 50m weiter vorne, also auch nicht rechtzeitig. Wer jetzt ordentlich rechts fährt und evtl. noch ein Auto hinter sich hat, muss nur noch den Mut aufbringen, hier den Arm rauszustrecken und den Spurwechsel auf der Bundesstraße durchziehen.
jetzt nur noch einfädeln
Dieser Rechtsabbieger hier ist übrigens eine Straße, die völlig sinnlos ist, sie gehört komplett geschlossen (aber dazu werde ich wohl mal einen eigenen Beitrag schreiben).
Auf dem Radweg, der nach dem Rechtsabbieger wieder völlig schutzlos ist (wenn man mal von der gelben Farbe absieht), ist es jetzt ähnlich, wie auf der anderen Seite: vier (?) weitere Fußgänger-Ampeln und drei weitere, kreuzende Querstraßen auf nicht mal 500m (sic!).

Dann ist es schon wieder zuende und genauso überraschend, die die Spur angefangen hat, endet sie auch schon wieder. Vor uns liegt jetzt die fünfspurige Kreuzung. Wer hier nach links will (z.B. in die Fahrradstraße Tübingerstraße), braucht im fließenden Verkehr ein gutes Selbstvertrauen. Aber auch von rechts kann noch potentiell Querverkehr kommen, da muss man aufpassen. Und wer „nur“ geradeaus oder vorne nach rechts will, wird jetzt in die sog. „Dooring-Zone“ geschickt. Direkt dorthin, wo jederzeit die Türen der parkenden Autos aufgehen können.
Ende der Radspur
Nachgemessen ist dieser Streifen an manchen Stellen nur 1m breit.
1m breiter "Schutzstreifen"
Direkt vor der Kreuzung wird man dann noch von der fünfspurigen Straße runter geführt und auf diesen 1,2m schmalen was-auch-immer-Streifen. An dessen Ende sind….
1,2m auf dem Trottoir
…. noch ein Ampelmast und Poller im weg, nicht dass es den Radfahrenden noch irgendwie einfach gemacht wird. Drei Ampeln hat man noch vor sich, bevor man auf der gegenüberliegenden Seite auf einen Gehweg geleitet wird.
Und Stuttgart wäre nicht Stuttgart, wenn es an dieser Ampel nicht noch ein extra-Hindernis eingebaut hätte. Die Rechtsabbieger-Ampel wird gleichzeitig mit der Fußgänger- und Radfahrer-Ampel grün! Kein Scheiß, beide mal mit solchen violetten Kreisen markiert. Ich dachte erst, ich seh nicht richtig, als ich die Stelle beobachtete. Aber es ist genau so geschaltet. Ich bin immer noch etwas sprachlos über diese fahrlässige (oder gar vorsätzliche) Gefährdung.
das Schmankerl am Ende
Warum man diese temporäre Radspur nicht einfach weiter über die Kreuzung gelegt hat und dann gemütlich an der Herzogstraße geendet hat, bleibt ein Rätsel. Irgendwie scheint sich in der Stuttgarter Verwaltung alles dagegen zu sträuben, etwas sinnvolles zu machen.

Ich habe keine Ausbildung in diese Richtung, scheine aber einige grundsätzliche Dinge beim Thema „Mobilität“ deutlich besser zu verstehen, als das Stadtplanungsamt mit allen Fachleuten und Expert:innen. Ob vielleicht der Leiter dieses Amtes mit solchen Planungen seine Mitarbeiter:innen extra de-motivieren will oder was dahinter stecken könnte, kann ich überhaupt nicht sagen.
Und ich habe hier sicherlich noch den ein oder anderen Punkt vergessen, der mir dazu noch mal eingefallen ist (z.B. die Glasscherben, die vor den Party-Lokalen abends „auftauchen“ oder die Falschparker, die sich von den Halteverbotsschildern natürlich nicht abschrecken lassen) – aber irgendwann ist ja auch mal gut mit diesem Artikel. Der Rest kommt dann vielleicht in einem weiteren Artikel….


Kommentare

2 Antworten zu „temporäre Radspuren“

  1. […] den allgemeinen Fahrradboom machen wollten. Die neuen „PopUp-BikeLanes“, also diese temporären Radspuren als Konfliktpotential in der sog. Autostadt Stuttgart, sollten der Aufhänger dafür sein. Ob ich […]

  2. […] werde. Ein weiteres, heißes Thema in Stuttgart: Die Theodor-Heuss-Straße. Hinter mir noch die temporäre Radspur, hier der Mordstreifen kurz danach. Dass die Autos nicht vernünftig parken können oder wollen tut […]

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