Schlagwort-Archive: lebenswerte Stadt

Kinder überfahren!

Kinder mit einem Auto zu überfahren ist schlimm.
Manche Städte haben für den Straßenverkehr eine #VisionZero-Strategie. Diese sagt aus, dass man eine Vision davon hat, keine Verkehrstoten mehr zu haben – und auch etwas dafür unternimmt. Gerade in Skandinavien gibt es sogar #beyondZero – also am Besten gar keine Verkehrsunfälle mehr. Helsinki, mit 650.000 Einwohner:innen, hatte 2019 z.B. keine getöteten Radfahrer:innen oder Fußgänger:innen mehr.
Das ist in anderen Bereichen völlig normal; nämlich überall dort, wo Menschen dafür verantwortlich sind, dass anderen nichts passieren darf. Leider ist es im öffentlichen Dienst ganz anders. Hier gibt es keine Verantwortlichkeiten – mit der Folge, dass in den (deutschen) Städten jedes Jahr viele, viele Unfälle passieren und dabei viele Menschen verletzt und getötet werden.

Stuttgart geht leider auch diesen Weg. Hier ist die Empathie der Stadtverwaltung für die angeblichen Bedürfnisse von Autofahrer:innen sehr viel größer, als für das Leben der schwächsten Verkehrsteilnehmer:innen und ihrer Familien und Freund:innen. Gerade vor ein paar Tagen, am 12. Januar, wurde mal wieder ein zehnjähriges Kind über-/angefahren und dabei schwer verletzt. Ob der 86-Jährige Autofahrer noch in der Lage war, sein Auto sicher zu bewegen, wird überhaupt nicht thematisiert. Auch nicht die miserable Infrastruktur, die auch mit zu dem Unfall führte. in der Nähe dieser Haltestelle Schloss-/Johannesstraße sind ein paar Schulen und Kindertagesstätten. Es dürfte dort nicht so aussehen!

Es ist eine Straße, die eigentlich breit genug ist und sicher ausgebaut werden könnte. Erlaubt sind dort 40km/h; aber auch nur, weil es vom Land so gefordert wurde. Und weil sie halbseitig legal mit ca. 15 Autos zugeparkt wird, bleibt nur noch eine recht schmale und kaum einsehbare Fahrbahn übrig.  Und dazu kommt noch, dass keine 500m von dort zwei(!) Tiefgaragen (Liederhalle), bzw. Parkhäuser (Tivoli), sind, die immer mehr als genügend freie Plätze haben. Ich fahre da ab und zu durch, daher weiß ich das. Weiterlesen

Lenzhalde ohne richtigen Gehweg

anti-demokratisch

der Stuttgarter Gemeinderat hat vor etwa zehn Jahren mehrheitlich das „Verkehrsentwicklungskonzept 2030“, kurz VEK2030, beschlossen. Da stehen grundsätzlich sinnvolle Sachen drin und die Hälfte der vorgesehenen Zeit ist auch schon abgelaufen.
Das Thema Gehwege hat dort ein eigenes Kapitel, #9:
„Mehr für Fußgänger tun – Wege und Verbindungen verbessern“
Dort ist u.a. diese Muss-Bestimmung festgelegt:

Um das zu Fuß gehen attraktiver zu machen, müssen die Bedingungen für Fußgänger verbessert werden. Die Fußgängernetze sind in Ihrer Gesamtstruktur teilweise unvollständig [….] die Gehwegbreiten sind oft zu gering oder werden durch parkende Autos [….] eingeschränkt.

Was das bzgl. der Gehwegbreite konkret bedeutet, wird kurz darauf nochmal festgelegt:

Die Funktion eines Gehwegs sollte sich in seiner Breite widerspiegeln. Gehwege sollten generell genug Platz bieten, dass zwei Personen bequem nebeneinander gehen oder sich begegnen können, auch wenn sie übliche Dinge wie Einkaufstaschen oder Regenschirme mit sich führen. Das entspricht in der Regel einer Breite von 2,50m, was einem einbaufreien und nutzbaren Gehweg von 1,80m Breite entspricht. Vielfach ist jedoch eine deutlich größere Gehwegbreite zweckmäßig. Die Stadt Stuttgart nimmt in der Planung als Regelmaß eine Breite von 2,50m und grundsätzlich eine Mindestbreite von 2m an.

Soweit, sogut – könnte man denken. Es ist alles sonnenklar beschrieben, das sollte doch jede:r verstehen.
Aber dann kommt die Verwaltung der Stadt Stuttgart und setzt solche Beschlüsse einfach nicht um!
Im September wurde an der Serpentine auf der Lenzhalde die Straße neu gemacht (OpenStreetMap). Die Baustelle war dort – wenn ich mich richtig erinnere – zwei Wochen. Während der kompletten ersten Woche parkte noch ein Mini direkt in der Baustelle (hier ein paar Tweets dazu). Als ich das mal fotografierte, fragten mich die Bauarbeiter recht verzweifelt, ob das mein Auto wäre und ich es wegfahren könne.

Baustelle an der Lenzhalde mit Falschparker

Man sieht schon deutlich, wie extrem breit diese Straße hier ist und wie schmal der Gehweg im Vergleich dazu ist.

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Stuttgarter Fahrradstraße

Wie, Fahrradstraße?

ja, mit so einer Äußerung „Wie, das hier ist eine Fahrradstraße‽ Das wusste ich gar nicht!“ wird man immer wieder konfrontiert, wenn man die Autofahrer:innen fragt, wieso sie denn auf dieser 350m langen Fahrradstraße in Stuttgart fahren. Natürlich wissen sie es und sie sollten auch wissen, dass sie dort nicht mit dem Auto fahren dürfen. Aber durch die lebenslange Erziehung von untätigen Ordnungsämtern und lediglich verwarnenden Polizist:innen, wissen sie eben auch, dass sie mit dieser naiven (wenn auch gelogenen) Frage immer gut durch kommen.

Wie ich dazu komme, dass sie es wissen müssten?
Ich habe mir die Einfahrt in die Fahrradstraße mal angeschaut. Zuerst steht da ein großes Schild, auf dem viel blau-weißes steht: eine Busspur und eben eine Fahrradstraße. Dass die tatsächlichen Spuren nicht mit dem Schild übereinstimmen ist in Stuttgart nur ein vernachlässigbares Detail; es gibt hier viele Schilder, die falsch und/oder unsinnig sind.
Stuttgarter Fahrradstraße
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Stuttgarter Mordstreifen - in Aktion!

Dooring im Mordstreifen

2018 wurde in Belgien das Wort Mordstreifen zum Unwort des Jahres gewählt. Wer mit dem belgischen Artikel nicht viel anfangen kann, hier steht etwas in Deutsch dazu. In Deutschland werden diese übrigens euphemistisch „Schutzstreifen“ genannt.
Die Tage ist nun das dritte Video durch meine Twitter-Timeline gekommen, auf dem ein:e Radfahrer:in von einer geöffneten Autotüre genau auf solchen Mordstreifen erwischt wurden. Die Videos sind immer hinter dem pic.twitter-Link und sollten nur angeklickt werden, wenn man starke Nerven hat oder aufgrund irgendeiner psychischen Störung Menschen hasst.

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Verkehrssicherheit

gestern, am 19. Oktober 2020, hat die Stadt Stuttgart ihren Bericht über die Unfälle mit Radbeteiligung veröffentlicht; dazu noch ein kurzes Video mit Frau Scherz, der Leiterin sowohl der Abteilung Straßenverkehr als auch der lokalen Verkehrsbehörde.
Der Bericht mit den zugehörigen Anlagen findet sich auf der Seite der Stadt Stuttgart, das Video – natürlich – auf youtube.

Frau Scherz über die Fahrrad-Unfalllage in Stuttgart

Screenshot von YouTube: Frau Scherz über die Fahrrad-Unfalllage in Stuttgart

Als ich mir das alles durchgelesen und angesehen habe, ist mir der große Unterschied zwischen der deutschen Verkehrs- und somit auch Stadtplanung im Vergleich zum niederländischen Ansatz aufgefallen. Frau Scherz wird damit zitiert:

Wir kommen von dieser Unfalllage dann runter, wenn sich alle Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr konzentrieren, im hier und jetzt unterwegs sind, alle Sinne benutzen und sich konzentrieren.

Ähnlich sagt es der Baubürgermeister Herr Pätzold.

Radfahrende schützen sich und andere durch rücksichtsvolles und regelkonformes Verhalten.

Und auch OB Kuhn spricht davon, dass man sich halt nur richtig verhalten müsse.

Es ist wichtig, das eigene Verhalten im Verkehr zu hinterfragen.

Diese Zitate sind nicht von irgendeiner Zeitung evtl. falsch verstanden oder (un)absichtlich verdreht worden, sie sind genau so von der Stadt selbst veröffentlicht worden.
Ganz anders sehen es dagegen unsere niederländischen Nachbarn. Im „Sustainable Safety“ Codex steht gleich in der Präambel der englische Kurzversion drin:

Aus der Präambel des Sustainable Safety Codex aus den Niederlanden

Aus der Präambel des Sustainable Safety Codex aus den Niederlanden

„Jede:r kann einen Unfall haben. Alle machen ab und zu mal Fehler, davon gibt es mehr als genug Beispiele. Menschen machen nunmal Fehler und das Risiko für schwerwiegende Fehler steigt, wenn sich Menschen gegen die Verkehrsregeln verhalten. Daher ist es nötig, dass solche schweren Fehler von Vorneherein ausgeschlossen werden.“ (und damit sind nicht zusätzliche Schilder oder Rücksicht gemeint)

Kurz gesagt: während man generell hier in Deutschland – und eben auch in Stuttgart – mit erhobenem Zeigefinger das vorwurfsvolle „Pass doch auf!“ sagt, wird in den Niederlanden das deutlich angenehmere „Ich pass auf dich auf!“ zu den Verkehrsteilnehmer:innen gesagt.
Das merkt man auch sofort, wenn man dort unterwegs ist. Während hier z.B. Ampeln so geschaltet werden, dass Radfahrer:innen ausgebremst werden, nur damit der „richtige“ Auto-Verkehr minimal besser fließt, kann man das eben auch anders machen. Radfahrer:innen brauchen grundsätzlich gar keine Ampeln, es gibt z.B. solche Kreuzungen mit „Rundum-Grün“ in Groningen (während es Kreuzungen in Stuttgart gibt, an denen man als Radfahrer:in ganze siebenmal rot hat). Und wenn man eben merkt, dass mal als Radfahrer:in ernst genommen wird (wie in den Niederlanden) und nicht ständig sinnlos schikaniert wird, wie beispielsweise an irgendwelchen roten Ampeln an leeren Straßen zu warten, hält man sich automatisch an die Regeln. Das ist alles von Anfang an in die Infrastruktur extra so eingeplant und macht einen großen Unterschied in der Benutzung. Wie viele der 818 Ampeln in Stuttgart so offensichtlich nur für den Autoverkehr ausgelegt sind, die man als Radfahrer:in problemlos passieren könnte, müsste man mal zählen. Grundsätzlich wäre ich deutlich schneller – und dabei genauso sicher – in dieser Stadt unterwegs, wenn ich nach Vernunft und nicht nach roten Auto-Ampeln führe; als einer der bekanntesten Radfahrer hier will ich den ganzen Leuten deren Hirn bei diesem Themenkomplex völlig abschaltet und nur noch „ABER DIE RADFAHRER!!!11!!elf“ geifern können, nicht noch weiteres Futter für ihre Hetze geben.

P.S. Das ist übrigens der Tweet der Stadt Stuttgart zum Thema. Wieso dem Stadtsprecher, der sich selbst gerne als „Mann des Wortes“ bezeichnet, gerade dieser Tippfehler im Namen von Susanne Scherz passiert und nicht korrigiert wird?

Screenshot des Tweets der Stadt Stuttgart

Screenshot des Tweets der Stadt Stuttgart: Susannes Scherz

Parklets

in Stuttgart gibt es wieder einen kleinen Aufreger: da hat es doch tatsächlich jemand gewagt, ein Nachbarschaftsbänkle auf dem Gehweg aufzustellen! Als das Ordnungsamt das mitbekommen hat, geht alles ganz schnell und die Bank muss innerhalb von wenigen Tagen entfernt werden! Hier ist ein Bild des Schreibens, es geht um eine „unerlaubte Sondernutzung“.
Nebenbei: Wenn man ein Auto ohne Zulassung im öffentlichen Raum stehen lässt, passiert – nachdem die Aufforderung zur Entfernung an die Scheiben geklebt werden – etwa ein halbes Jahr lang gar nichts (z.B. hier oder hier).
Ich bin an einem sonnigen Samstag Nachmittag mal dort vorbei gegangen und habe dabei fast 15 Motorräder und -Roller auf dem ca. 250m langen Abschnitt der Liststraße zwischen Strohberg und Immenhofer Straße gezählt. Wie viele Anwohner mit ihren Zweirädern gerade unterwegs waren, weiß ich natürlich nicht.
Motorräder dürfen überall parken

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Blick in die Elisabethenstraße

öffentlicher Raum

eine Frage, die in Städten immer wieder angekratzt wird, aber nie so richtig beantwortet wird:

Wie wollen wir als Gesellschaft mit dem begrenzten öffentlichen Raum umgehen?

Als Beispiel nehme ich hier mal das kurze Stück der Elisabethenstraße zwischen der Gutbrodstraße und dem Bismarkplatz im Stuttgarter Westen (Karte). Das sind etwa 120m und auf jeder Seite parken je ca. 15-20 Autos. Gleichzeitig sind dort 15 Häuser, die durchgängig sechsstöckig sind. Ohne auf die genaue Wohnsituationen in den einzelnen Häusern einzugehen, sind dort also 90 Wohnungen. Nach den Statistiken der Stadt Stuttgart wohnen im Westen etwa 50% Singles, der Rest sind dann vermutlich Paare oder gar Familien. Eine Schätzung über die tatsächliche Anzahl von Bewohner:innen in dieser kurzen Straße ist für mich als jemand, der dort nicht wohnt, also zum Scheitern verurteilt. Aber ich kann wohl guten Gewissens behaupten, dass es bestimmt mehr als 100 Menschen sind.
Blick in die Elisabethenstraße
Und in dieser Straße steht aktuell die Wanderbaumallee Stuttgart. Diese Wanderbaumallee ist ein Projekt von Stuttgarter:innen, bei dem es um die Diskussion über die Aufteilung des öffentlichen Raums geht. Und natürlich nebenbei auch darum, dass die Beton-, Asphalt- und Steinwüsten in den Städten ansprechender gestaltet werden sollen.
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